Titsch

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Die zwei Walsersprachen, Titsch (Gressoney-La-Trinité e Gressoney-Saint-Jean) und Töitschu (Issime), haben sich völlig unterschiedlich entwickelt, obwohl sie die gleichen Sprachwurzeln haben, die auf das Hochmittelalter zurückgehen. Im Laufe der Jahre haben sich in Gressoney die Kontakte zum Mutterland erhalten und die Sprache war keinen Einflüssen aus dem Französischen und Frankoprovenzalischen ausgesetzt. Die Kontakte mit dem Nordosten der Schweiz und mit Süddeutschland, die über 400 Jahre andauerten, haben ein Disglossie-Verhältnis zwischen dem Dialekt und der deutschen Hochsprache herbeigeführt, was eine einzigartige Besonderheit unter den Südwalsern darstellt. Bis ins 20. Jahrhundert galt Gressoney als mehrsprachige Gemeinschaft, wo die Schriftsprache das Hochdeutsche war.

Neben der Kirche spielte bei der Bewahrung der deutschen Sprachen die Institution Schule eine tragende Rolle. In den vielen Gressoneyer Schulen lehrte man rechnen, lesen und schreiben auf Deutsch. Das Italienische wurde erst nach 1870 eingeführt, als die öffentliche Schule in die Hand der italienischen Regierung überging. In Gressoney-Saint-Jean wurde auf Ansinnen des Priesters Johann Nicolas Bieler 1682 die erste Schule im Hauptort gegründet, während in Gressoney-La-Trinité die erste Schule 1691 vom Priester Johann Netscher im Weiler Selbststeg ins Leben gerufen wurde. Daraufhin öffneten die Schulen in Gressoney-La-Trinité in Tache 1732 und in Gressoney-Saint-Jean in Trinò 1742 ihre Pforten. Eine Besonderheit war die Handelsschule in Chaschtal, die 1821 durch eine Schenkung von Seiten einer gewissen  Anna Caterina Rial zustande kam. Sie wollte ihr Erbe dahingehend genutzt sehen, dass jenen jungen Gressoneyern eine gute Ausbildung ermöglicht wurde, die sich – der Tradition entsprechend – als Händler im deutschsprachigen Ausland verdingten.

In den Grundschulen und an der Handelsschule Rial ersetzte der Unterricht der deutschen Hochsprache jenen des Französischen, dem in Issime und im ganzen Aostatal das Hauptaugenmerk galt. So gesellte sich in Gressoney zum Titsch, einem Walserdialekt, der seit den Anfängen der Kolonialisierung den Alltagsgebrauch beherrschte,  die deutsche Hochsprache. Die Aussprache, der Wortschatz und die morpho-syntaktischen Strukturen haben sich in der Folgezeit unter diesem Einfluss verändert. Mit der Einigung Italiens wurde das Französische durch das Italienische als offizielle Amtssprache ersetzt und das Deutsche rückte an die zweite Stelle. Mit dem Verfassungsgesetz Nr. 2 vom 13/09/1993 wurde festgelegt, dass „die deutschsprachige Bevölkerung der Gemeinden des Lystales, die im Regionalgesetz genannt werden, das Recht auf Schutz der eigenen sprachlichen und kulturellen Besonderheiten sowie ihrer Traditionen haben. Den genannten Bevölkerungsgruppen wird das Recht auf einen deutschsprachigen Unterricht durch eine Anpassung an die örtlichen Notwendigkeiten gewährt“.

Mit dem Artikel 40bis des Autonomiestatus des Aostatales wurde am 19. August 1998 das Regionalgesetz Nr. 47 erlassen, in dem die drei Gemeinden Gresoney-La-Trinité, Gressoney-Saint-Jean und Issime als deutschsprachige Gemeinschaften genannt werden. Um die Umsetzung der in der Gesetzesvorlage gewährten Iniziativen zu ermöglichen, wurde der „Dauernde Rat zur Wahrung der Walsersprache und –kultur“ eingerichtet. Die italienische Verfassung sieht in ihrem Artikel 6 den Schutz der sprachlichen und historischen Minderheiten vor. Dieser Artikel wurde am 15. Dezember 1999 durch das Gesetz Nr.482 ergänzt. Auf Basis dieses  Gesetzes schützt die italienische Republik die Sprache und Kultur ihrer albanischen, katalanischen, deutschen, griechischen, slowenischen, französischen, frakoprovenzalischen, friulanischen, ladinischen, okzitanischen und sardischen Minderheiten“.

Heute wird die deutsche Hochsprache in den Grundschulen und in den Schulen 2. Grades unterrichtet, wobei die Stundenzahl weit hinter der des Französisch- oder Italienischunterrichtes hinterher hinkt.

Die Gressoneyer und die Issimer verwenden noch heute ihre Dialekte, um untereinander im Alltagsleben zu kommunizieren, aber sie sprechen nicht miteinander in ihrem jeweiligen deutschen Dialekt.

Die beiden Walsersprachen weisen grob umrissen folgende morfologische Besonderheiten auf:

  • Die drei Geschlechter: männlich, weiblich, sächlich
  • Die Fälle: Nominativ, Akkusativ, Genitiv und Dativ
  • Die Deklination des Nomens: dar hoanu (Nom., Akk.), ds hoanendsch (Gen.), dam hoane (Dat.), je nach Fall 3 unterschiedliche Deklinationen (Beispiele auf töitschu)
  • Die Deklination des Adjektivs: de tésch éscht hébsche, d cariò éscht hébsché, z bett éscht hébschs, je nach Geschlecht drei unterschiedliche Endungen (Beispiele auf titsch)
  • Der Einsatz von „tun“ als Hilfsverb, um die Verben zu konjugieren

Heute unterscheidet sich der akustische Eindruck, den die beiden Sprachinseldialekte hinterlassen, stark voneinander. Der Hauptgegensatz ergibt sich durch die gerundeten Vokale in Issime und die entrundeten in Gressoney sowie die innovative Diphtongisierung und Monopthongisierung, die nur Issime durchführte. In Gressoney reduzierten sich die Reihen durch die Entrundung der Vokale (û>ii, üe>ie, ö>ee) um eine Größe auf zwei Glieder, während in Issime die Dreigliedrigkeit erhalten bleibt (Bsp. Schnee: Issime schnie, Gress. schné, Bsp. Maus: Issime mous, Gressoney mus). Damit entspricht der Dialekt von Gressoney dem Mittelhochdeutschen, während die Dreigliedrigkeit in Issime auf ein älteres deutsches Sprachdatum verweist. Innovativ verlief die Sprachentwicklung in Issime, was die Diphtongisierung und die Monophtongisierung der Vokale anbelangt. Insgesamt kann man im töitschu elf Diphtonge ausmachen, während Gressoney nur über deren 6 verfügt (oa, ee, ei, ou, ie, ue). Einzig bei dem langgezogenen â zu oa zog Gressoney mit Issime mit (Issime und Gressoney: Abend – oabe, Jahr – joar).

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