Prosa in Gressoney

Titel eines Kapitels der Chronik "Gressoney einst und jetzt"
Titel eines Kapitels der Chronik "Gressoney einst und jetzt"

Hochdeutsch war in Gressoney über Jahrhunderte hinweg alleinige Schriftsprache. Verantwortlich dafür waren die sozio-ökonomischen Beziehungen, die die Walsergemeinschaft über Jahrhunderte hinweg nicht nur mit der deutschsprachigen Schweiz sondern auch mit Süddeutschland verband. Kein anderer Walserort Italiens pflegte zum geschlossenen deutschen Sprachgebiet derart enge Kontakte, was dazu führte, dass die deutsche Hochsprache in Gressoney eine breitgefächerte funktionelle Vielfalt entwickelte:

  • Deutsch war bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts Unterrichtssprache und damit auch der Lehrbücher, Zeugnisse und Klassenregister.
  • Deutsch war die Sprache der Kirche und damit des Katechismus, der Gebetsbücher und des Liedguts.
  • Deutsch war die Berufssprache der Kaufleute (Geschäftsbücher, Rechnungsbücher, Bestellungen etc.).
  • Deutsch war nicht nur die Sprache der beruflichen, sondern auch der privaten Korrespondenz.
  • Deutsch war Lesesprache und damit der Bücher, Kalender etc.
  • Deutsch war die Sprache der Grabinschriften und Gedenktafeln.
  • Deutsch war die Sprache der Segenswünsche (Haussegen, Firstbalken-Inschriften etc.).
  • Deutsch war die Sprache der Dorfchroniken.

Die einstige Bedeutung der deutschen Hochsprache als Schriftsprache spiegelt sich heute noch in den Publikationen des Walser Kulturzentrums wider, die nahezu alle in deutsch-italienischer Fassung gedruckt wurden. Besonders hervorzuheben ist die Publikation der Chronik „Gressoney einst und jetzt“ von Valentin Curta (1861-1929). Der Chronist und Autor mehrerer Reiseführer gehörte der Familie der „Moalersch“ (Maler) an, arbeitete jahrelang als Krämer in der Schweiz und schuf eine umfassende auf Deutsch verfasste Chronik, die er mit Fotografien, Zeichnungen und und Skizzen anreicherte.

Dagegen spielte die Walsersprache Titsch in Prosatexten stets eine untergeordnete Rolle. Ab den 80-er Jahren verfassten zwei Gressoneyer Lehrerinnen kurze Texte im Walserdialekt, die unter dem Titel „Duezòmoal“ im Pfarrblatt veröffentlicht wurden. Der Untertitel „Uf òn ab z’land, dass nid alls gangé én vergäss“ (landauf und landab, damit nicht alles vergessen wird) macht die Zielsetzung dieser kurzen, an alle Haushalte verteilten Texte deutlich. Nachdem nicht nur die deutsche Hochsprache als Schriftsprache durch das Italienische verdrängt wurde, sondern auch der Walserdialekt im mündlichen Sprachgebrauch in Bedrängnis geriet, nahm die Verschriftlichung der Ortssprache zu. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch die Schaffung der Dialektwörterbücher durch das Walser Kulturzentrum (1988 bzw. 1998).

Prosatexte in der Walsersprache titsch bleiben trotz allem auch in neuerer Zeit Ausnahmeerscheinungen. Einzig die Geschichte „L’albero che voleva volare” (Der Baum, der fliegen wollte, 2009) der Aostataler Lehrerin Paola Neyroz wurde in die beiden Walsersprachen Titsch und Töitschu übersetzt und in einem einzigen Band publiziert. In jüngster Zeit wird das Vorwort der vom Walser Kulturzentrum herausgegebenen "Kulturzeitung" auf Titsch und nicht mehr auf Italienisch verfasst. Anzumerken bleibt die gegenwärtige Tendenz, dass die jungen Leute unter den alteingesessenen Familien bei der elektronischen Kommunikation (SMS, E-Mail etc.) zunehmend auf ihre Muttersprache Titsch zurückgreifen.

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